01.12.2023 Lesung mit Ever­hard Drees “Apfel­baum­chaus­see”

In die Erin­ne­run­gen eintauchen

Lesung mit Ever­hard Drees

Es war Ever­hard Drees, der im Schul­ten­hof vor­las, aber nicht aus sei­nem eige­nen Buch, son­dern aus dem Werk des west­fä­li­schen Schrift­stel­lers Nor­bert Johan­nim­loh. Drees hat­te ihn per­sön­lich kennengelernt.

Von Diet­lind Ellerich

Ever­hard Drees las im Kamin­zim­mer aus Nor­bert Johan­nim­lohs Roman „Appel­baum­chaus­see“. | Foto: Diet­lind Ellerich

Drau­ßen kalt und ver­schneit, drin­nen warm dank des knis­tern­den Feu­ers im Kamin­zim­mer. Das war die hei­me­li­ge Kulis­se, vor der Ever­hard Drees auf Ein­la­dung des För­der­ver­eins Mett­in­ger Schul­ten­hof aus dem Buch „Appel­baum­chausse“ des west­fä­li­schen Schrift­stel­lers Nor­bert Johan­nim­loh las. Drees hat­te den Autor, der im ver­gan­ge­nen Jahr im Alter von 92 Jah­ren starb, per­sön­lich ken­nen­ge­lernt. Er lud die rund 30 Frau­en und Män­ner, die sich um den Lese­tisch schar­ten, dazu ein, mit ihm gemein­sam in des­sen auto­fik­tio­na­le Erin­ne­run­gen ein­zu­tau­chen und sich vom Klang der Spra­che ein­fan­gen zu lassen.

Es waren Geschich­ten, in denen der Ich-Erzäh­ler aus dem Blick­win­kel eines Kin­des respek­ti­ve Jugend­li­chen vom schwe­ren Leben auf dem Land zwi­schen Eltern­haus und Kuh­stall, Schu­le, Kir­che und Krieg erzählt. Das ist oft zum Schmun­zeln, manch­mal zum Wei­nen, aber immer genau beob­ach­tet und detail­liert beschrie­ben. Ob Johan­nim­loh von sei­ner Bezie­hung zum Vater schreibt („Glaubst du, ich hät­te ihn fra­gen kön­nen? Klö­nen konn­te man mit Papa erst, als er schon Opa war“), das Auf­wach­sen in der Groß­fa­mi­lie mit ins­ge­samt zehn Kin­dern, oder den Schul­all­tag, in dem nicht der Zeige‑, son­dern der Schlag­stock „das wich­tigs­te Ding“ und „stän­dig griff­be­reit“ gewe­sen ist („Nicht sel­ten traf es Schuld- und Ahnungs­lo­se“) — inhalt­lich und sprach­lich prä­zi­se lässt er das Leben auf dem Lan­de Revue pas­sie­ren und nimmt das Publi­kum mit sei­ner Erzähl­wei­se gefan­gen. Immer wie­der nickt jemand aus der Run­de im Kamin­zim­mer zustim­mend, erin­nert sich an eige­ne Fami­li­en­ge­schich­ten, in denen es ähn­lich zuge­gan­gen sein mag.

„Als Dok­tor durf­te ich alles machen, auch das, was der lie­be Gott und der Herr Pas­tor ver­bo­ten hatten.“
Nor­bert Johan­nim­loh in sei­nem Roman „Appel­baum­chaus­see“

Ever­hard Drees gibt mit der Aus­wahl der gele­se­nen Pas­sa­gen einen facet­ten­rei­chen Ein­blick in Johan­nim­lohs Leben. Von der ster­ben­den Kuh ist die Rede, der der Vater mit dem Brot­mes­ser gera­de recht­zei­tig den Hals durch­ge­schnit­ten hat, damit sie als Schlacht­vieh ver­kauft wer­den konn­te, aber auch von Dok­tor­spie­len auf dem Stroh­bo­den. „Als Dok­tor durf­te ich alles machen, auch das, was der lie­be Gott und der Herr Pas­tor ver­bo­ten hat­ten“, erzählt Nor­bert Johan­nim­loh in sei­nem Roman „Appel­baum­chaus­see“ und macht mehr als deut­lich, dass es ihm Spaß mach­te, „den gro­ßen Hel­mut so in Ver­le­gen­heit zu brin­gen“. Die ers­te Ent­täu­schung von den Halb­ku­geln unter dem Pul­li der Irm­gard bei der Unter­su­chung ihres Her­zens beschreibt er eben­so minu­ti­ös wie den todes­mu­ti­gen Ein­satz beim Balan­cie­ren auf dem Gelän­der der Auto­bahn­brü­cke, um Hil­de­gards Auf­merk­sam­keit zu bekom­men, oder den geschei­ter­ten Plan, Anne­gret zu erobern. Dass man­che „Mäd­chen­ge­schich­ten“ in der Hei­li­gen Mes­se ihren Anfang nah­men, ver­steht sich auf dem Lan­de, wenn die Ange­be­te­te drei Kilo­me­ter ent­fernt in der Bau­er­schaft wohnt, bei­na­he von selbst.

Auch von der „gehei­men Teu­fels­aus­trei­bung“ bei der Cou­si­ne Luzia ist die Rede, nach­dem Weih­was­ser und auch Lour­des-Was­ser ver­sagt hat­ten, von der Grat­wan­de­rung zwi­schen läss­li­chen Sün­den und Tod­sün­den und dem Druck, im Beicht­stuhl nichts aus­las­sen zu dür­fen, statt­des­sen alles ganz genau erzäh­len zu müs­sen („Bei dem Vikar habe ich nie mehr gebeichtet“).

Der Krieg, so stell­te Ever­hard Drees fest, kom­me kaum vor. Die Kir­che sei so stark im Dorf gewe­sen, dass die­ser außen vor geblie­ben sei. Detail­lier­ten Ein­blick gibt Johan­nim­loh in das Amt des „Kir­chen­schwei­zers“, das der Vater inne­hat­te und auf­grund des­sen er befand, dass sonn­tags „alles anders als sonst“ war. Das habe sich nicht nur auf die Klei­dung bezo­gen. So habe „Got­tes­mut­ter, Süße“ sehr komisch aus „Papas Mund“ geklun­gen, und er erin­nert sich, ganz ver­blüfft gewe­sen zu sein, als er den Vater zum ers­ten Mal in der Kir­che habe sin­gen hören. Das Sin­gen zu Hau­se, das haben näm­lich „erst die Enkel erfah­ren“, ver­rät der Autor.


Ever­hard Drees gab einen ein­dring­li­chen und berüh­ren­den Ein­blick „in eine ande­re Welt, die gar nicht so ganz lan­ge zurück­liegt, in der aber viel pas­siert ist“. Das Publi­kum im Kamin­zim­mer des Schul­ten­ho­fes wuss­te die auto­fik­tio­na­len Erin­ne­run­gen zu schät­zen und zu genießen.

Eigen­be­richt: Drees liest „Apfel­baum­chaus­see“

Zu einer Lesung mit Ever­hard Drees lädt der För­der­ver­ein Mett­in­ger Schul­ten­hof am 1. Dezem­ber um 20 Uhr in den Schul­ten­hof ein. Drees liest aus dem Roman „Apfel­baum­chaus­see“ von Nor­bert Johannimloh.

Schon mehr­fach war Ever­hard Drees in Mett­in­gen, um hier sei­ne gesam­mel­ten Geschich­ten vor­zu­tra­gen – teils in platt­deut­scher Spra­che. Seit mehr als 30 Jah­ren erzählt Drees deutsch­land­weit Mär­chen und Geschich­ten für Alt und Jung, heißt es in einer Mit­tei­lung des För­der­ver­eins. Er erzählt die gedruck­ten Mär­chen­tex­te in ihrer unver­än­der­ten Gestalt als ein leben­di­ges rhyth­mi­sches Sprachkunstwerk.

Bekannt wur­de Nor­bert Johan­nim­loh in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten durch sei­ne Roma­ne, Erzäh­lun­gen, Gedich­te, die auch in nie­der­deut­scher Spra­che ver­fasst wor­den sind, sowie Hör­spie­le. Vor allem sein Roman „Apfel­baum­chaus­see“, der deut­lich auto­bio­gra­fisch geprägt ist, fand gro­ßen Anklang bei Kri­ti­kern und Lesern. Mar­kan­te Epi­so­den aus einer west­fä­li­schen Kind­heit in den 30er- und 40er Jah­ren wer­den erzählt. Geschich­ten von Lie­be, Gewalt, Miss­brauch und all­täg­li­chem Leben aus der Sicht eines Kindes.

Kar­ten zum Preis von 10 Euro sind erhält­lich im „Bücher­wurm“, Tel. 05452/ 973011, und in der Tou­rist­info, Tel. 05452/ 5213 und für 14 Euro an der Abendkasse.

Schon mehr­fach war Ever­hard Drees in Mett­in­gen, um hier sei­ne gesam­mel­ten Geschich­ten vor­zu­tra­gen — teils in Platt­deut­scher Spra­che. In die­sem Jahr liest er aus dem Roman von Nor­bert Johan­nim­loh “Apfel­baum­chaus­see”.