Der Apfelbaum
Samstag, 25. Januar 2020, 20 Uhr Lesung im Schultenhof-Haupthaus
Im Roman „Der Apfelbaum“ verarbeitet er die Geschichte seiner Familie zur Nazizeit, in der Emigration und die Rückkehr nach Deutschland nach dem Krieg. Er zeigt, dass die Kriegstraumata auch in der zweiten und dritten Generation nachwirken und wie brüchig unsere Lebensläufe oft sind.
Christian Berkel ist vielen aus zahlreichen Filmen und Fernsehprojekten bekannt, besonders als Bruno Schumann in „Der Kriminalist“.
IVZ (Dietlind Ellerich) am 27.1.2020
Mit einem starken Auftakt startete der Förderverein Mettinger Schultenhof am Samstag in sein neues Veranstaltungsprogramm. 200 Besucher verfolgten den Auftritt des Schauspielers Christian Berkel. Der 62-Jährige las nicht nur aus seinem Buch „Der Apfelbaum“, sondern mahnte auch nachdrücklich, „auf unsere Sprache zu achten“. Es fange immer mit der Sprache an, sagte er zum in Europa zunehmenden Antisemitismus.
Über die Sprache werde der Boden geebnet und Toleranz geschaffen, „und dann kommen die Taten“, forderte er sein Publikum auf, bei verbalen Entgleisungen Flagge zu zeigen. Noch vor wenigen Jahren habe er den heutigen Rechtsruck in Europa für „absolut unmöglich“ gehalten. Offen geäußerter Antisemitismus wie die „Vogelschiss“-Aussage des ehemaligen AfD-Bundessprechers Alexander Gauland im Bundestag sei „extrem erschreckend“.
Berkels klare Kante liegt auch in seiner Familiengeschichte begründet, die er im Buch „Der Apfelbaum“ beschreibt. Der Sohn einer Halbjüdin hatte lange wenig über seine Vergangenheit gewusst. „Es wollte niemand wirklich darüber sprechen“, erinnert er sich. „Der Apfelbaum“ ist im Herbst 2018 erschienen und das Ergebnis jahrelanger intensiver Recherchen. Für ihn seien die Lücken und Leerstellen in seiner Geschichte vielleicht ebenso prägend gewesen wie die Dinge, die ihm bekannt gewesen seien.
„Ich versuche zu erzählen, wie es dazu gekommen ist“, macht der Schauspieler und Autor deutlich, dass das Geschehen des Romans nur an die Familie Berkel angelehnt und keine Biografie sei. „Wer wann wo gewesen ist, ist Familiengeschichte, was die Figuren im Einzelnen erlebt und empfunden haben, ist natürlich fiktional“, erklärt er den Zuhörern. Gebannt folgten diese der Lesung aus dem Buch und den Erklärungen über seine Vorgehensweise.
Die einen kennen Christian Berkel aus Filmen wie „Der Untergang“, „Operation Walküre“ oder „Inglourious Basterds“. Andere verfolgen seit Jahren seine Ermittlungen als Hauptkommissar Bruno Schumann in der ZDF-Serie „Der Kriminalist“. Wer von der Vergangenheit seiner Familie gewusst oder bereits gelesen hatte, ist am Samstag umso beeindruckter von der Geschichte, vor allem aber von Berkels Auftritt in der Diele des Schultenhofs. Eindringliche Schilderungen über die Besuche bei seiner an Demenz erkrankten Mutter vor wenigen Jahren oder über deren Erlebnisse während des Kriegs im Sammellager Gurs in den französischen Pyrenäen treiben manchen die Tränen in die Augen.
Besonders die Präsenz von Berkels sonorer, geschulter Stimme und der Facettenreichtum, mit dem er die Figuren seines Romans zum Leben erweckt, machen im Publikum Eindruck. Das zeigt sich in der Wahl der Attribute von „großartig“ bis „wunderbar“, mit denen die Besucher den Abend beschreiben. Aber auch in der langen Warteschlange am Tisch der Buchhandlung „Bücherwurm“, wo der Autor in der Pause und nach der Lesung wie am Fließband signiert. „Wenn sie wissen wollen, wie es weitergeht, es gibt da hinten noch Möglichkeiten“, sagt Berkel am Ende der Lesung schmunzelnd mit Blick auf den Büchertisch.
„Die Geschichte geht gut aus, sonst wäre ich nicht hier, um sie zu erzählen“, versucht er dem Grauen, das seine Eltern Sala und Otto erlebt haben, ein wenig den Schrecken zu nehmen.